Karlsruher Sachverständigen Forum (KSF), 28.-30.3. Anleitung zum Gebrauch des Sachverstands

100 Fachleute einschließlich der Karlsruher Meisterschüler sind zum KSF gekommen. Die Macher des GFF BW unterstreichen ihre Nähe zur Aktualität und scheuen mit der Verpflichtung von Prof. Matthias Zöller nicht davor zurück, festgefahrene Strukturen infrage zu stellen – beeindruckend.

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    Rekordverdächtig: die Zahl der Nachfragen, Wortmeldungen und Diskussionsbeiträge zu und nach so gut wie jedem Vortrag
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    Alles im Griff: Organisator Andreas Richter (li.) vom GFF BW, Moderator Volker Siegle
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    Die Gesetze der Natur richten sich nicht nach dem Erscheinungsdatum der neuesten Norm, sagt Prof. Matthias Zöller, Architekt und Sachverständiger für Schäden an Gebäuden.

Sachverständige rühmen sich oft ihrer Rolle als eigentliche Entscheider in Bauprozessen. In der Sache trifft dies zu, aber deshalb ist es noch keine gute Nachricht, sagt Prof. Matthias Zöller, Bausachverständiger und Architekt. Sein Vortrag am ersten Tag des diesjährigen KSF fordert das Auditorium bewusst heraus. „Die Regelwerksabweichung alleine begründet keinen kausalen Zusammenhang“, etwa zwischen der Werkleistung des beauftragten Fensterbetriebs und dem bemängelten Schaden; vielmehr habe der Sachverständige eine Aussage dazu zu treffen, ob der Auftragnehmer sein Gewerk nach technischem Verständnis fehlerhaft ausgeführt hat. Klar ist, dass ein solches Prozedere alle Prozessbeteiligten womöglich mehr Mühe kostet. So erwartet Zöller von seinen Kollegen schlicht, hinter die Dinge zu blicken, also die erwähnten kausalen Zusammenhänge zu klären, die Bedeutung von Fehlern (der Begriff „Mangel“ ist ihm so zuwider wie die „allgemein anerkannte Regel der Technik“) herauszuarbeiten und sich dazu einzulassen, ob die jeweilige Lösung wohl in Zukunft funktioniert. Dagegen sei es explizit nicht Aufgabe der ö.b.u.v. technischen Fachleute, sich zu Rechtsanwendungsgrundlagen zu äußern und damit eben die Würdigung des Gerichts vorwegzunehmen, für die sie verfassungsgemäß selbstverständlich nicht vorgesehen sind: „Ich verwende den Begriff des Mangels nicht, weil ich das nicht muss. Damit zwinge ich den Richter, sich mit meinem Gutachten auseinanderzusetzen“, riet der Referent dazu, „im Umgang mit Rechtsbegriffen den Gürtel enger zu schnallen“.

Ei, ei, ei, die Eitelkeit

Da steht sicher auch mal die Eitelkeit im Weg. Er, Zöller – nach eigener Aussage parallel mit 20 Gerichtsgutachten befasst – verwahre sich nach eigener Aussage dagegen, sich zur vermeintlichen Mangelhaftigkeit einer Sache zu äußern, die „außerhalb meines Sachgebiets liegt“. Gleichwohl lässt der Honorarprofessor in Bauschadensfragen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) der badischen Uni den Rechtsbegriff im Vortrag nicht außen vor. In Paragraf 633 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) seien Aspekte wie die vereinbarte Beschaffenheit, die vom Vertrag vorausgesetzte Eignung, die Eignung für eine gewöhnliche Verwendung und, ganz wichtig, die Bestellererwartung nach Art des Werks geregelt. In Anbetracht dessen ist es verständlich, und eigentlich beruhigend, dass der Sachverständige „nicht das Recht, sondern die Technik klären“ soll, wie Zöller den Teilnehmern nochmals in Erinnerung bringt.

Auftraggeber Staat

Dass der Hochschuldozent neben dem Mangel auch gegen die allgemein anerkannte Regel der Technik fundierte Vorbehalte hegt, mag nicht überraschen. Dabei zitiert er ausgerechnet den DIN, einen Verein, dem die Bundesrepublik Deutschland 1975 vertraglich die Wahrnehmung der Staatsaufgabe der Standardisierung übertragen hat; übrigens ist Zöller kein Normungsgegner und vielfach in die Gremien involviert, auch wenn er genüsslich spottet, ein DIN-Ausschuss könne wohl durch Abstimmung die Naturwissenschaften aushebeln. So gebe es nicht genug Standardisierung, das zeige die Kakophonie bei den Handy-Ladekabeln. Der DIN freilich habe, um zum Zitat zu kommen, selbst formuliert, seine Aufgabe liege gerade darin, in den Gremien die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die resultierenden Regelwerke anerkannte Regeln der Technik würden. Das heißt, sie sind es weder bei der Formulierung noch beim Inkrafttreten, sondern in der Folge eines zeitlich nicht definierten Prozesses.

Mutig oder gefährlich

Schließlich könne sich der neueste technische Stand in der Praxis noch gar nicht bewährt haben. Nur zur Erinnerung: Die Befürworter bei der Normenverschärfung zur DIN 18008, die die Bauaufsicht jetzt erst mal gestoppt hat, hatten suggeriert, Betriebe sollten am besten jetzt schon ihren Kunden in den beschriebenen Anwendungen der Terrassentür bis Brüstungshöhe Sicherheitsglas unter Verweis auf die allgemein anerkannten Regeln der Technik verkaufen – mutig oder gefährlich.

Wie dem auch sei, als anderntags Dipl.-Ing. Hans-H. Zimmermann entgegen seinem Referatstitel kaum über Fassaden und dafür viel über Dachkonstruktionen aus Glas spricht, will er von den Teilnehmern des Karlsruher Sachverständigen Forums wissen, wann beziehungsweise ob es sich um einen Planungs- oder einen Ausführungsfehler handelt. Doch Zöllers Worte wirken nach: „Das dürfen wir als Sachverständige gar nicht beantworten, da es sich um eine Rechtsfrage handelt“, schallt es prompt aus den Stuhlreihen des großen Lehrsaals an der Otto-Wels-Straße zurück. Ansonsten formuliert auch der Mann von den Unabhängigen Beratern für Fassadentechnik (UBF) den Anspruch: „Als Sachverständige müssen wir uns fragen, warum etwas passiert. Was als Regel definiert ist, trifft nicht auf jeden Einzelfall zu.“ Auch das lässt sich als Ermunterung lesen, vom Sachverstand, wo er vorhanden ist, Gebrauch zu machen, statt sich auf das Herunterbeten von Normen zu versteifen.

Sprich mit deinem Richter

Wie vom Fachverband GFF BW gewohnt, ist hier nichts per order de mufti festgesetzt, das macht schon die Ansage von Waldemar Dörr deutlich, mit der der Hauptgeschäftsführer die Teilnehmer auffordert, am Bewertungsbogen in den komplett digital gehaltenen Tagungsunterlagen Vorschläge zu Themen oder der Programmgestaltung zu hinterlassen. Diese Offenheit lädt zum Mitmachen ein, wie die ungezählten Wortmeldungen während der von GFF begleiteten ersten beiden Tag zeigen. Unvergessen ist die lebhafte Diskussion, als Zimmermann sagt, nach der DIN EN 14179-1:2016-12 sei ESG dauerhaft zu kennzeichnen; der bei einem Schadensfall vorgefundene Aufkleber an der Rückseite werde dem nicht gerecht. Der Widerspruch ist so anhaltend wie begründet. Eine kommunikative Herangehensweise empfiehlt zu Beginn ebenfalls RA Roland Jaspers von Schick und Staudt Rechtsanwälte in Stuttgart im Verhältnis zum Richter, insbesondere wenn es um eine Ausweitung des ursprünglich geplanten Sachverständigen-Aufwands gehe.